der gesellschaftsanalytische Psychologie-Podcast
Vorspann
Tine: Politik ist eigentlich was, was uns alle betrifft. Das umgibt uns, es gibt unserem Leben eine Form […]
Tine: Klicken
Marivi: da finden sich auch schnell Menschen mit den gleichen Normen und Werten zusammen, und die treten dann gemeinsam für eine Sache ein […]
Marivi: Klicken
Tine: Das Wohlbefinden war bei beiden Gruppen gleich. Aber die, die das essen nach ethischen Standards bewerten sollten, haben sich lebendiger gefühlt […]
Tine: Jingle-Musik (Ouh yeeah…)
Svenja: Du hörst: geist:reich, den gesellschafts-analytischen Psychologie-Podcast.
Svenja: Folge 1
Marivi: Ja, herzlich willkommen zu unserer ersten Folge von geist:reich, dem gesellschafts-analytischen Psychologie-Podcast. Hier am einen Ende der Leitung spricht Marivi aus Marburg und am anderen Ende der Leitung spricht…
Tine: Hallo hier ist Christine, oder auch Tine genannt im Podcast, und Ich sitze in Hamburg
Marivi: Ja, schön dass wir uns hören. Wir freuen uns. Ich kann nur sagen, ich bin ein bisschen aufgeregt. Wir haben gerade schon gemeinsam Stimmübungen gemacht. Ja, und das heutige Thema wird sein oder ist die Frage: warum sind oder werden einige Menschen politisch und andere nicht? Was muss eigentlich passieren um politisch zu werden welche Voraussetzungen müssen da getroffen werden? Und das aus einer psychologischen Perspektive, weil wir, wie gesagt, ein Psychologie Podcast sind. Da ist aber die Frage: Warum reden wir in einem Psychologie-Podcast über Politik?
Tine: Das habe ich glaub so’n bisschen angeregt damals, dieses Thema. Es ist mir einfach immer ein Anliegen gewesen, dass Politik nichts ist, was so abgeschlossen ist. Was so ein Hobby ist was manche Menschen eben haben, so wie Modelleisenbahn oder Motorradfahren. Und ich hatte das Gefühl, dass das in meinem Freundeskreis eben bei vielen Leuten der Fall war, dass sie so der Meinung waren: ‚Ja ja, Tine, du interessierst dich für Politik, das ist total cool, dass du das als Hobby hast, aber meins ist das eben nicht.‘ Damit habe ich mich nie so wohl gefühlt, weil ich finde, Politik ist eigentlich was, was uns alle betrifft. Das umgibt uns, das gibt unserem Leben irgendwie eine Form, in der wir unser Leben führen können. Und deswegen habe ich das Gefühl, das hat eben auch Auswirkung auf unser psychisches Empfinden und unser Erleben, weil es irgendwie so ein Thema ist was sehr viel bestimmt.
Marivi: Ja. Also würdest du sagen, es ist weniger wie so eine Modelleisenbahn, sondern mehr wie -keine Ahnung -eine Wohnung, in die man so zurück kommt, oder die für einen Lebensmittelpunkt ist?
Tine: Ja, das finde ich ein total schönes Beispiel. Es ist etwas, was die allermeisten von uns haben: ein Ort, an dem wir wohnen und der einfach dazu gehört, innerhalb dessen wir unser Leben gestalten können.
Marivi: Ja voll, und ist ja auch so: einige Menschen investieren mehr in ihre Wohnung und machen die schön, und andere Menschen leben einfach darin aber es ist trotzdem wichtig, darin leben zu können. Ja, Tine, wie war das denn eigentlich bei dir? Wie hast du dich politisiert?
Tine: Also, schon so als Teenager war das manchmal so am Rande Thema. Manchmal haben meine Eltern politische Diskussionen am Abendessenstisch geführt – das fand ich immer ganz interessant, hab aber nicht immer alles verstanden. In der Schule fand ichs irgendwie auch ein ganz spannendes Fach, war aber auch nie so mein absoluter Fokus. Ich glaube, was bei mir den letzten Ausschlag gegeben hat, war, dass ich ein Jahr in Indien gelebt habe und da so den Blick für globale Ungerechtigkeiten gefunden hab, und dass ein Lebensstandard, unter dem Menschen wohnen können, total viel damit zusammenhängt, wie das politische System aussieht. Das hat mich sehr geprägt. Selbst verständlich heißt das jetzt nicht, dass es den Menschen in Indien allen total schrecklich geht, aber es hat ne politische Dimension und das habe ich in dem Moment entdeckt. Wie war das denn bei dir?
Marivi: Ich bin so mit, keine Ahnung, 10, 11 Jahren damals ins Kinder- &Jugendparlament reingekommen bei uns im kleinen Städtchen. Das war irgendwie auch cool und aufregend und dann habe ich aber gemerkt wie schön es ist mit gestalten zu können. Klar, es ging nur um solche Sachen wie: wollen wir als Kinder- & Jugendparlament in den Stadtrat reinbringen, dass ein Spielplatz gebaut wird, aber in dem Moment hat sich das wirklich sehr, ja, rückblickend als emanzipierend - oder ist das richtige Wort? Ich glaub schon - so angefühlt. Und dann bin ich später halt eben auch Klassensprecherin und Schülersprecherin geworden und das hat mir immer super Spaß gemacht so auf einer lokalen Ebene. Und ja, wir haben ja die gleiche Erfahrung gemacht, dass wir im Ausland waren und andere Freund*innen von mir hatten es anders. Also ich glaub, nicht jede*r muss ins Ausland gehen um sich zu politisieren. Also es gibt viele Möglichkeiten auf jeden Fall. Wie war das denn bei euch? Wie habt ihr euch politisiert? Ist das überhaupt ein Thema für euch?
Tine: Ja und falls das kein Thema ist: warum ist es kein Thema für euch? Schreibt es uns gerne mal in die Kommentare. Wir sind gespannt.
Marivi: Genau. Bevor wir jetzt so richtig einsteigen, wollen wir nochmal kurz darauf hinweisen: ich studiere Psychologie, Tine ist jetzt schon abgeschlossen und in ihrer Ausbildung zur Psychotherapeutin und wir forschen nicht in den Bereichen über die wir jetzt reden. Wir sind keine Wissenschaftlerinnen, aber wir haben uns eingearbeitet machen das nach bestem Wissen und Gewissen, wie man das so schön sagt
Tine: Genau. Wir möchten euch einfach anbieten, was wir gefunden haben, was es so für wissenschaftliche Erkenntnisse gibt zu den Themen, für die wir uns interessieren.
Marivi: Ja, Politisierung - was bedeutet das?
Tine: Als ich angefangen hab, darüber zu recherchieren, hatte ich glaub ich erst auch nicht so unbedingt den richtigen Suchbegriff und bin eher so auf politikwissenschaftliche Paper gestoßen und anfangs nicht auf psychologische Paper. Fand ich aber total spannend, weil da ging so ein bisschen darum: Politisierung hat oft im politischen Diskurs eine negative Kommunikation. Also Debatten sollen eben nicht politisiert werden, es ist was negatives. Sie sollen möglichst neutral gehalten werden und das kann auch eine Methode sein, um den*die politische Gegner*in zu diffamieren. Also zu sagen: eigentlich ist das doch klar und nüchtern und ihr macht da ein Politikum draus. Oft wird es auch so gesehen, dass sich vielleicht auch Menschen - „Das Volk“ in Anführungszeichen - gar nicht so sehr politisieren sollten, weil es alles nur in Aufruhr bringt - und das finde ich persönlich so überhaupt nicht. Also, ich finde, Politik ist ein Thema, was uns alle betrifft, wo wir alle mitreden sollten. Und ja, für mich ist die Politisierung - oder nicht nur für mich, sondern auch was ich einem anderen Paper noch gefunden habe - erstmal überhaupt nur die Aktion, eine Haltung einzunehmen, eine Meinung anzunehmen.
Marivi: Genau. Laut Forschung politisieren sich Menschen dann… wodurch?
Tine: Ja, das ist natürlich ein super soannendes Thema. Erstmal ein paar Zahlen dazu: Es gibt da eine Studie von 2012 (ist jetzt natürlich auch schon 9 Jahre her), aber damals gab 44,6% der Menschen in Europa an, sehr oder ziemlich politisch interessiert zu sein. Das ist jetzt so nicht mal ganz die Hälfte, ne, also dadurch jetzt vielleicht nicht der alle demokratischste Prozess, wenn gerade mal knapp die Hälfte überhaupt Interesse hat mitzureden. Und deswegen hat mich interessiert: okay, was ist mit dem Rest? Warum interessieren der sich nicht für Politik? Und ja, genau, da gibt es eine Umfrage von der Bertelsmann Stiftung von 2013 (also ungefähr zum gleichen Zeitraum) jetzt aber nur in Deutschland, da kann ich jetzt nichts über Europa sagen. Aber die haben rausgefunden: 61% derjenigen, die sich nicht so sehr für Politik interessieren, haben gesagt, sie finden es oft schwer nachvollziehbar, was da in der Politik geschieht. Dann wiederum 54% haben gesagt, in der Politik wird zu viel getrickst und getäuscht, das ist ihnen zu viel Show. Ich glaube, über so ein Vertrauen werden wir auf jeden Fall auch noch mal reden nachher.
Marivi: Ja, genau.
Tine: Ja, und dann gibt es natürlich auch zum Beispiel 46%, die einfach sagen, sie haben andere Interessen. Also ihnen sind private und berufliche Dinge wichtiger, was ja irgendwie genau das ist, wo ich am Anfang sehr versucht habe drauf einzugehen: dass Politik eben auch private und berufliche Dinge betrifft. Ja, grundsätzlich erstmal die Art und Weise wie sich Menschen politisieren: also natürlich findet man (jetzt auch wieder nicht so psychologisch sondern politikwissenschaftlich) einen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. Also wenn die schlechter ist, dann politisieren sich mehr Leute, weil es sie dann eben sehr akut betrifft. Weil sie vielleicht vorher auch nicht merken, wie sehr es sie betroffen hat. Aber in dem Moment wird dann klar: okay das ist tatsächlich was, das betrifft mich, das ist ein Thema das mich einschränken kann. Und um jetzt aber ein bisschen mehr auf die psychologische Ebene zu kommen: ganz klassische Faktoren, wie sich Menschen politisieren sind halt durch Eltern oder Freund*innen/Peers. Also Menschen sind natürlich einfach total soziale Wesen, da wundert‘s jetzt auch nicht, dass das irgendwie der Haupteinflussfaktor ist. Auch wenn man so zufällig in politische Diskussionen gerät, daran teilnimmt, das ist auch oft ein Moment, in dem Leute sich dafür anfangen zu interessieren. Und wenn sie einfach viel Nachrichten ausgesetzt sind.
Marivi: Also, das ist jetzt erstmal nicht direkt diese „wow, ich mach da sofort mit“ sondern „ich hab da Interesse“?
Tine: Genau, und dieses politische Interesse, das ist ganz spannend. Es gibt sehr sehr viel Forschung dazu, wie sich das bei Jugendlichen entwickelt und gar nicht so viel Forschung dazu, wie es bei Erwachsenen eigentlich aussieht.
Marivi: Erwachsene sind einfach nicht mehr glücklich, also… Lacht.
Tine: Ja, auch einfach nicht mehr wichtig, die haben es einfach eh schon hinter sich. Ne, also, das finde ich irgendwie spannend. Da könnte man, finde ich, noch mehr einen Blick drauf werfen. Vielleicht habe ich das auch einfach nicht gefunden. Aber auf jeden Fall waren das so die allerersten Ergebnisse. Es scheint ein Stück weit auch begründet zu sein: das entwickelt sich ebenso teilweise im Jugendalter und in den Zwanzigern (also nicht in den 20er Jahren, in denen wir jetzt leben, sondern in den persönlichen 20 Jahren eines Menschen) entwickelt sich oft schon so ein stabiles Niveau des politischen Interesses. Wenn man in seinen Zwanzigern nicht unbedingt großes Interesse entwickelt hat, dann wird es, empirisch gesehen, statistisch auch wahrscheinlich gar nicht mehr so viel mehr. Aber es ist natürlich nie zu spät, also, das sind ja alles nur statistische Durchschnitte.
Marivi: Mhm.
Tine: Genau. Und nochmal dazu, wie sich Jugendliche politisieren: Es gab eine ganz spannende Studie in Österreich, wo das Wahlalter herab abgesetzt wurde auf 16. Und da haben spannende - nicht spannende, naja auch spannende aber vor allem schlaue - Forschende sich gedacht: Ach, das ist doch der perfekte Zeitpunkt um zu gucken, was das mit den Jugendlichen eigentlich macht, dass sie jetzt wählen dürfen. Und da hat man herausgefunden: Der Einfluss der Schule der Jugendlichen wurde wichtiger darin, was für eine politische Meinung sie entwickeln. Vorher war es vielmehr das Elternhaus und der Freundeskreis und durch das Herabsetzen des Wahlalters war plötzlich der Raum, in dem sie sich aufgehalten haben fast jeden Tag - in der Schule - ein viel größerer Einflussfaktor.
Marvi: Voll cool! Hier in Deutschland ist das ja auch voll viel in der Diskussion.
Tina: Ja, das ist ja auch total die Chance, dass Menschen da nicht unbedingt die gleichen politischen Meinungen entwickeln müssen wie ihre Eltern.
Marivi: Total.
Tine: Das ist ja eigentlich auch ein emanzipatorischer Moment.
Marivi: Und gibt es da irgendwie… Also, nicht jeder Mensch ist gleich. Man hat ja nicht die gleichen psychologischen Voraussetzungen. Die Menschen unter euch, die Psychologie studiert haben, sind bestimmt auch schon mal über das Thema Persönlichkeit gestolpert, und dass das alles nicht nur aus der Erziehung kommt, sondern eben auch zum Teil genetisch bestimmt ist und ja, wir einfach unterschiedlich ticken und unterschiedliche Werte haben, unterschiedliche Identitäten. Hat das irgendwie einen Einfluss?
Tine: Ja, selbstverständlich. Es gibt da tatsächlich auch Forschung zu, dass man wenn man Menschen zu ihren Werten fragt, ziemlich stabile Zusammenhänge zu ihrer… also zum Beispiel zu der Partei, die sie wählen, finden kann. Und Werte in der Psychologie sind natürlich auch irgendwie definiert und da gibt es Modelle zu, wie es zu fast allem in der Psychologie Modelle gibt. Und zwar gibt es (ganz berühmt) den Wertekreis von Schwartz.
Marivi: Mit „tz“.
Tine: mit „tz“, genau. Das ist so erstes, zweites Semester Psychologie, da begegnet einem das. Stellt euch das vor, wie so ein Kreis, wo verschiedene Werte drin stehen und die liegen sich teilweise gegenüber, teilweise sind die näher aneinander. Das werden wir euch auch in den Shownotes verlinken. Ihr könnt auch einfach in die Suchmaschine eurer Wahl einmal „Schwartz Wertekreis“ eingeben. Da stehen so Werte drin wie zum Beispiel „Offenheit für Neues“ oder „Wahrung des Bestehenden“ - die stehen sich zum Beispiel gegenüber. Oder Sachen wie „Selbsterhöhung“, also das wär sowas wie ein Streben nach Leistung und Macht, steht dem Wert der „Selbsttranszendenz“, das ist natürlich ein fancy Wort jetzt, aber das ist eher so ein Streben nach Wohlwollen für alle Menschen, nach Universalismus, nach Zusammenhalt, steht dem gegenüber. Und jede Person hat ja so einen Mix aus verschiedenen Werten und wird sich da irgendwo auf dem Kreis wiederfinden. Das korreliert, das ist auch wieder ein typisches Psycholog*innen-Wort, also das hängt zusammen mit Werten, die Parteien haben.
Marivi: Also, jetzt super stereotypisch: So ein FDPler würde ich eher als wirtschaftsliberal und als jemand, der auf Leistung achtet, einordnen, während ein linke Person eher einen starken Universalismus und Gerechtigkeit für alle hat. Also, das wär jetzt, was ich so stereotypisch denken würde.
Tine: Genau, aber dann wiederum spannend Ist halt auf dieser anderen Dimension „Offenheit für Neues - Wahren des Bestehenden“ wären vielleicht beide eher offen für Neues. Also da sieht man, wie komplex das ist, ne. Also, Werte sind da ein sehr spannendes Thema, finde ich.
Marivi: Und auch nicht der einzige Grund, warum man jetzt in einer Partei eintritt, ne?
Tine: Selbstverständlich nicht, aber genau, sobald man vielleicht so ein bisschen für sich rausgefunden hat, was sind eigentlich meine Werte, könnte einen das auch irgendwie in eine bestimmte politische Richtung treiben.
Marivi: Hmm, cool…
Tine: Und dann natürlich ganz großes Thema bei politischem Interesse: Gender. Die meiste Forschung in der Psychologie, oder Ich glaube fast die komplette Forschung, arbeitet immer noch mit binären Geschlechtern. Das nochmal als kleiner Disclaimer. Wir werden jetzt viel von Frauen und Männern reden. Selbstverständlich wissen wir, dass es auch andere Geschlechter gibt - da gibt es aber einfach noch nicht so viele Forschung zu.
Marivi: Leider…
Tine: Leider! Genau, also da hat man natürlich auch viel gefunden, was so mit Geschlechterrollen zu tun hat. Politik wird grundsätzlich oft als etwas verstanden, was Regierungen betrifft, was Institutionen betrifft, Ressourcenkonflikte und solche Sachen, und das sind Dinge für die sich im Schnitt eher Männer interessieren. Deswegen hat man wahrscheinlich auch oft das Gefühl, dass Politik ein Thema für Männer ist. Weil das, was man als Politik liest und wahrnimmt, männlich konnotiert ist. Andererseits gibt es durchaus politische Themen, für die sich Frauen sehr interessieren. Also einerseits sind das natürlich Sachen, die sie betreffen in ihrer Rolle als Frau. Sowas wie Gender Pay Gap, Abtreibung, Gewalt bzw. geschlechtsspezifische Gewalt, soziale Gesetzgebung, solche Dinge. Aber auch interessieren sich zum Beispiel Frauen mehr für lokale Themen, was in ihrer Nachbarschaft passiert, in ihrer Stadt, und das ist ja auch alles Politik. Das ist dann einfach auf einer anderen Ebene. Deswegen ergibt sich so ein scheinbarer Unterschied im Interesse, dass Männer sich angeblich mehr für Politik interessieren würden was aber…
Marivi: …nicht stimmt.
Tine: Also, kann man so nicht sagen, weil es kommt einfach sehr darauf an, was man als Politik bezeichnet oder wahrnimmt und deswegen würde ich auf jeden Fall sagen, man kann total vieles als politisch verstehen. Also wie wir auch am Anfang schon festgestellt haben.
Marivi: Man kann für vieles sich interessieren, nicht nur für die großen Institutionen „da oben“.
Tine: Und wenn man sich für vieles interessiert, dann kann man ja vielleicht auch so ein Gefühl dafür entwickeln: Hey ich kann auch was machen!
Marivi: Ja genau, dieses Gefühl… „die da oben“… was kann ich machen und was du vorhin auch am Anfang ein bisschen angesprochen hattest, dieses Vertrauen in „die Politik“ in Anführungsstrichen, ja, das wird alles in der Psychologie unter dem Begriff politische Selbstwirksamkeit oder im englischen political efficacy zusammengefasst. Wenn man das jetzt so im psychologischen Lexikon nachschlägt, ist das die Überzeugung von einem Menschen, dass er*sie auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen kann. Zum Beispiel: „Ich schaffe das jetzt, diese Mathe-Arbeit zu schreiben. Ich kann das, ich bin schlau genug dafür.“ Allein das schon. (Die Definition ist generell auf Selbstwirksamkeit bezogen.) Und bei politischer Selbstwirksamkeit unterscheidet man zwischen der internalen – also in mir selbst drinnen – Selbstwirksamkeit, das ist so die Einschätzung eines Individuums auf das eigene Politikverständnis, also dieses „kann ich das überhaupt checken“ und dieses Gefühl wie oder wo kann ich mich beteiligen, ist mir das überhaupt möglich, und auf der anderen Seite die externale – also herausgehende – politische Selbstwirksamkeit. Das ist dann die Einschätzung, inwieweit geht die Politik auf das Interesse der Bevölkerung ein: Machen die das oder fechten die Politiker*innen „da oben“ nur ihre eigenen Interessen durch. Und das sind so Einschätzung, die so sehr… nicht auf mich und meinen Alltag abzielen, sondern eher auf das politische System. Und die müssen beide nicht übereinstimmen. Es kann sein, dass ich persönlich das Gefühl hab, dass ich mich selber überhaupt nicht beteiligen, und ich überhaupt kein politisches Verständnis habe – dann ist meine internale Selbstwirksamkeit sehr gering – aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass die Menschen, die in der Politik aktiv sind, sich für meine Interessen oder die Interessen der Bevölkerung einsetzen.
Tine: Mhhh, spannend…
Marivi: Genau, also die müssen nicht immer gleich sein. Und 2019 wurde halt herausgefunden, dass 81% der Deutschen glaubten, Politik zu verstehen - das ist ja schon mal was – aber 75% hatten das Gefühl, dass sich Politiker*innen überhaupt nicht für die Interessen die Bevölkerung interessieren. Also super Auseinanderklaffen von internaler und externaler Selbstwirksamkeit. Und da ist tatsächlich auch interessant zu sehen, dass Menschen, die nach Deutschland gezogen sind, am Anfang auch generell weniger diese Gefühle haben, vielleicht weil sie sich noch weniger eingebunden fühlen, sie noch nicht ganz angekommen sind, und je länger diese Menschen dann hier leben und je stärker sie sich hier ein Leben aufbauen, desto stärker wurde dann auch das Gefühl, dass sich die Politik nicht für sie interessiert. Das ist ja vielleicht auch, wenn sie marginalisiert sind, dass sie das Gefühl haben: hey, da passiert nichts für mich. Was ja vielleicht teilweise auch stimmt, das ist ja nicht immer nur subjektiv.
Tine: Ja, total.
Marivi: Und eben wenn dann dieses Gefühl sehr niedrig ist, dann passiert es, dass Menschen Frustration erleben.
Tine: Aber damit meinst du jetzt alle Menschen, nicht nur die Menschen, die eingewandert sind, oder? Okay.
Marivi: Ja, jetzt geht es wieder auf alle Menschen gleichermaßen und dieses Gefühl; „die Eliten hören meine Meinung nicht.“ Da ist es dann auch wahrscheinlicher, dass man eine kritische Sicht auf Institutionen – Parteien, Regierungsapparate – bekommt, und teilweise auch auf die Demokratie, weil man das Gefühl, das funktioniert nicht. Und dann schleichen sich Zynismus und Unzufriedenheit ein. Und es entsteht dann eine immer größere Distanz, also bzw. die Wahrnehmung dieser Distanz, zwischen sich selbst und der politischen Elite, und das führt dann eben zu Politikverdrossenheit, teilweise zu weniger Partizipation. Vielleicht aber auch zu übermäßiger Partizipation (in dem Fall Teilhabe am politischen Geschehen) in Form von Protestwahlen oder ähnlichem.
Tine: Ja, finde ich spannend. Also, das klingt ja so ein bisschen nach dem Narrativ, was in den letzten Jahren in den Medien war: Protestwähler*innen wählen die AfD, weil sie unzufrieden sind. Ich finde, das kann auch in die andere Richtung gehen. Also, ich kann mich da an meine persönliche Geschichte erinnern. In den ersten Jahren, wo ich angefangen habe, mich für Politik zu interessieren, war das mit sehr viel Wut verbunden. Sehr viel Unverständnis gegenüber dem Status Quo (das ist immer noch da bei mir), aber da war meine Selbstwirksamkeit auch anders als heute. Ich bin da viel auf Demos gegangen, habe mich viel über die Zustände beschwert und ich finde immer noch, es gibt total viele Zustände, über die ich mich beschwere und beschweren will, und laut sein will. Aber ich glaube, meiner politischen Selbstwirksamkeit hat es gut getan, dass ich irgendwann angefangen habe, über Alternativen nachzudenken und Utopien zu entwickeln, und weniger „dagegen“ war.
Marivi: Ja, voll schön. Genau, das bedeutet jetzt nicht gleich, dass alle Menschen, die so ein frustriertes Gefühl haben, alle gleich AfD wählen. Das ist damit nicht gemeint. Es passiert nur sehr schnell, dass solche populistischen Parteien eben diese Gefühle ansprechen. Ja, gerade hatten wir schon die Gender-Frage aufgeworfen. Die fände ich auch bei dem Thema spannend, weil – ja, auch jetzt leider wieder binär gedacht – wir auch da einen Unterschied haben, oder?
Tine: Genau. Also, jetzt gar nicht mehr unbedingt im Bezug auf Populismus aber im Bezug auf Selbstwirksamkeit, gesunder oder weniger gesunde Selbstwirksamkeit. Also, zuerst kann man sich vielleicht auch schon denken, wenn man sich die Welt anguckt, dass Frauen weniger Selbstwirksamkeit im politischen Bereich empfinden – das ist aber vielleicht gar nicht berechtigt. Da kommen wir gleich zu. Es führt vielleicht auch das Gefühl dazu, man kann weniger ändern, weniger schaffen, dass man sich weniger engagiert. Menschen vermeiden grundsätzlich Aktivitäten, bei denen sie wenig Selbstwirksamkeit empfinden.
Marivi: Das ist ja genau das, was ich gerade meinte: Selbstwirksamkeit ist nicht objektiv. Es ist wirklich dieses subjektive Gefühl: kann ich das oder kann ich das nicht. Das hat nicht immer was mit den Fakten zu tun.
Tine: Genau, und da gibt es nämlich ein total spannendes Experiment, wo Menschen Feedback gegeben wurde. Die sollten einen Text schreiben über politisches Wissen und dann hat man ihnen Feedback dazu gegeben. Wenn man ihnen positives Feedback gegeben hat, dass sie da irgendwie viel zu Wissen, dann hat es das Selbstwirksamkeitsgefühl bei Frauen gefördert, bei Männern hatte es keinen Effekt. Das heißt, Männer sind wahrscheinlich davon ausgegangen, dass sie da sowieso viel wissen zu haben. Hat man den Leuten ein akkurates Feedback gegeben, hatte das keinen Effekt bei Frauen, aber einen negativen Effekt, ein geringeres Selbstwirksamkeitsgefühl bei Männern. Weil sie wahrscheinlich davon ausgegangen sind, dass sie mehr wissen, als tatsächlich der Fall war. Von daher, ich denke mal, Frauen könnten sich da einfach ein bisschen mehr zutrauen. Aber mein Gefühl, das ich so habe, wenn ich in der politischen Szene unterwegs bin: Es wird auf jeden Fall immer mehr. Ich lerne immer mehr total politische Frauen kennen, die auch viel Selbstwirksamkeitsehhh… Ach, das ist echt ein schreckliches Wort für einen Podcast – Selbst-wirk-sam-keits-er-wart-tung haben.
Tine: Beide lachen.
Marivi: Die dieses Gefühl haben. Ja, ich glaube auch, dass es da echt auch ein Generationenshift gibt, oder je nachdem in welcher Szene man unterwegs ist, da ist das ja auch immer unterschiedlich. Und wenn man sich das anschaut, finde ich es auch immer interessant zu schauen, wie kommt es dann zum Engagement, zum wirklichen jetzt Aktiv-Sein.
Tine: Ja, das ist dann ja auch der nächste Schritt. Man war interessiert und hat da eine Selbstwirksamkeit entwickelt und was macht man dann tatsächlich.
Marivi: Genau, und ich hab mich dann gefragt… Also, ich war mal mit einem Kumpel in der Kneipe. Und er ist so politisch interessiert, er weiß o viel. Ich hab echt coole Diskussionen mit ihm, aber engagiert sich halt nicht. Und ich habe mich dann so gefragt: Wie kommt es da eigentlich zu? Warum macht so ein Mensch wie er, der so viel weiß, ja, warum behält er das für sich? Ja, das ist eben so ein Prozess. Oder nicht nur „ich glaube“, sondern so ist das auch tatsächlich beschrieben, dass das so ein politischer Partizipationsprozess ist. Dass es von der Sympathie bis zur aktiven Unterstützung verschiedene Teilschritte gibt, wo man sich Stück für Stück so ein bisschen transformiert. Und das geschieht tatsächlich ganz viel durch die Anpassung an sein soziales Umfeld. Und zwar, klar, so politische Prädiktoren (Prädiktoren sind Sachen, die das vorhersagen) für diese Teilhabe sind natürlich das Interesse, was wir schon besprochen haben, dass man sich mit so einer Sache identifizieren kann, und natürlich die Selbstwirksamkeit und das Wissen, also dass man es versteht, Probleme erkennt und überhaupt weiß, wo kann ich da teilnehmen. Aber eben auch dieser soziale Einfluss. Zum Beispiel die familiären Einflüsse oder auch Gruppeneinflüsse generell, dass man ein soziales Netzwerk hat. Und das passiert eben dann ganz ganz viel, dass Menschen sich innerhalb von Gruppen Stück für Stück immer aktiver und aktiver verhalten. Und mein Kumpel hat dann eher einen unpolitischen Freundeskreis, hat dieses Wissen und teilt es dann mit jemand interessierten. Aber es ist nicht so, dass er eine Gruppe hat, die sich dann gemeinsam anstupsen. Also natürlich kann man auch alleine aktiv werden, aber es geht sehr viel eben über Gemeinsamkeiten mit anderen und dann ist es halt so, dass ich hier in Marburg zum Beispiel viele Gruppen habe, wo ich hingehen kann. Also hier gibt es viele Möglichkeiten. Und oftmals basiert das dann auch auf der gleichen Meinung. Meinungen sind etwas, dass man sehr gut kommunizieren und offenlegen kann. Viel besser als jetzt zu sagen „ich hab den und den Wert, ich bin jetzt universalistisch und jetzt gehe ich zu den anderen universalistischen Leuten“
Tine: Mhhh.
Marivi: Aber da stehen Werte hinter, und deswegen, wenn man sagt „ich habe die und die Meinung mit anderen Personen zusammen“, zum Beispiel „ich habe die Meinung, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden sollten“, dann finden sich auch schnell Menschen mit den gleichen Normen und Werten zusammen, und die treten dann gemeinsam für eine Sache ein. Ja, eine spannende Sache dabei ist auch, was der sozio-ökonomische Status da mit uns macht. Das ist…ja…
Tine: lacht. Ich wollte kurz eine Warnung aussprechen: Das ist ein richtiges Psycholog*innen-Wort. Einmal erklären, bitte!
Marivi: Ja, ich glaube, dass kannst du fast besser, du warst da schon in den Startlöchern.
Tine: Ja, der sozio-ökonomische Status wird oft miterhoben, da geht es einmal um ökonomisch im Sinne von: wie ist eine Person oder ein Haushalt finanziell aufgestellt, aber eben auch was Bildung angeht, was ja leider noch immer sehr miteinander verbunden ist. Dass Leute, die finanziell eingeschränkt sind, sich auch nicht so viel Bildung bzw. so lange Bildungszeiten leisten können, selbst wenn die Bildung kostenlos ist. Genau, und das ist etwas, was in der Psychologie häufig miterhoben wird. Dass man sich einmal anguckt, was hat das eigentlich für einen Einfluss?
Marivi: Oder hat es überhaupt einen Einfluss, genau. Und da wurde eben gezeigt, dass die sozio-ökonomische Status das Selbstwertgefühl tatsächlich beeinflusst, wie selbstsicher man auch dann ist und je höher der sozio-ökonomische Status war, desto höher war auch das Selbstwertgefühl, und, noch ein wunderbarer Begriff, der „Locus of Control“ – das ist tatsächlich ein psychologische Konstrukt, das beschreibt: habe ich Kontrolle über die Dinge, die passieren. Wenn das internal ist, dann ist dieser Locus of Control… da hat man das Gefühl: Ja, ich kann die Dinge kontrollieren und ich kann Veränderung schaffen. Und je höher das Selbstwertgefühl ist, desto höher hat man eben diese beiden Konstrukte. Und dadurch hat man dann ein höheres politisches Selbstwirksamkeitsgefühl. Und wir haben ja, wie gesagt, schon gelernt: Die Selbstwirksamkeit beeinflusst dann wieder die Involviertheit und die Teilhabe an solchen Prozessen. Und wir haben natürlich verschiedene Formen, wie wir teilnehmen können. Also, es gibt ganz klassisch die politischen Parteien, es gibt das Verhalten im privaten Raum, dass man andere Leute anspricht und versucht die zu überzeugen, dass man sich über seinen Konsum bewusst wird und es gibt dann das öffentliche Verhalten, dass man aktivistisch unterwegs ist, an Demonstrationen teilnimmt und diese organisiert. Dass man für NGOs freiwillig arbeitet, oder auch – jetzt gerade auch immer mehr, in Zeiten von Corona – die Online-Partizipation, Petitionen unterschreiben, eMails schreiben, auf Facebook, Instagram, TikTok (…keine Ahnung, ich hab TikTok noch nicht benutzt), aber das man da Dinge repostet oder seine Meinung öffentlich macht. Genau. Das soweit zum Thema politischer Teilhabe, oder fällt dir da gerade noch was zu ein?
Tine: Ich würde mir vielleicht an dieser Stelle noch ein paar Gedanken darüber machen, was sollte politische Teilhabe sein oder wie sollte politische Teilhabe sein.
Marivi: Mhhh.
Tine: Weil ich in letzter Zeit so ein bisschen das Gefühl entwickle, Politik wird immer mehr zu so einem… da gibt es irgendwie kein gutes Wort für: zu so einem Partisanship.
Marivi: Parteienzugehörigkeit?
Tine: Ja, ne, das ist eher… das kommt aus dem US-amerikanischen Raum, wo Partisanship bedeutet, sich der einen oder der anderen Seite zuzuordnen. Da ist es natürlich hauptsächlich ein Zwei-Parteien-System, dadurch hat es da etwas mit Parteien zu tun, muss es aber eigentlich nicht zwangsläufig, sondern… Ja, es wird heutzutage halt oft als „rechts“ oder „links“ betitelt, und das Menschen sich dann direkt allen Meinungen von ihrer Seite so ein bisschen anschließen. Für mich wäre meine Utopie des Politisch-Seins, wenn ganz viele Leute in Gremien, Räten, Parteien, wo auch immer sie aktiv sein möchten, dass sie sich zu jedem Thema eine eigene Meinung bilden und sich da nicht direkt so verhärtete Fronten bilden. Und dass Politisch-Sein erstmal nicht bedeutet, man… also, natürlich sind Gruppen immer wichtig, aber dass Politisch-Sein nicht bedeuten muss: Wir gegen Die. Sondern sich überhaupt erstmal für die Welt zu interessieren, überhaupt mitbestimmen oder mitgestalten zu wollen.
Marivi: Ja, ich glaube, wenn man in so einem Gruppendenken „gefangen“ ist (in Anführungsstrichen), dann passiert es eben einfach auch sehr schnell, dass man sich mit einer Gruppe identifiziert und sich denkt, ich muss die Gruppe und die Gruppenmeinung beschützen. Und ich glaube, wenn man sich dessen auch bewusster wird, kann man da vielleicht auch entgegensteuern und da auch ein bisschen empathischer werden.
Tine: Ja, genau, und das öffnen vielleicht.
Marivi: Genau, voll schön.
Tine: Das heißt, natürlich gibt es Meinungen, die sind keine Meinungen, die sind keine Meinungen, dies sollen nicht respektiert werden. Faschismus zum Beispiel. Aber was andere Sachen angeht: vielleicht kann man sich ja darauf einigen, dass etwas gemacht werden muss und man kann sich aber konstruktiv darüber streiten, wie.
Marivi: Ja.
Tine: Das wär so mein Traum.
Marivi: Schöner Traum. Also, was für mich noch, wenn wir jetzt so unsere Visionen öffnen, was Politisch-Sein bedeuten könnte, ist für mich so die Frage der Wissenschaft. Also, ich habe jetzt gerade mein Forschungspraktikum in der Umweltpsychologie, und ist eben auch so die Diskussion: Was kann, was darf Wissenschaft? Wie politisch darf Wissenschaft sein? Weil es gibt ja immer dieses „Wissenschaft ist ganz objektiv und ganz neutral“ und ich, meiner Meinung nach und tatsächlich auch von ein paar anderen Wissenschaftler*innen, mit denen ich geredet hab, ist tatsächlich die Meinung: Naja, es geht nicht ganz, es sollte vielleicht was Normatives, etwas Politisches haben. Weil sich auch bewusst zu machen, dass Wissenschaft gar nicht immer neutral sein kann, weil die Menschen, die dahinter stehen, mit einem bestimmten Menschen- und Weltbild an die Forschung heran gehen. Dass wie ich aufwachse, und was ich so für Meinungen habe, das trage ich auch in meine Forschung mit hinein. Deswegen kann Forschung gar nicht unbedingt neutral sein.
Tine: Naja, und ich finde bei dem Thema ist auch noch ein total wichtiger Aspekt, dass selbst wenn Wissenschaft neutral wäre und den Status Quo beschreibt, dann ist der Status Quo auch nicht neutral. Weil der ist von Ideologien geprägt, und die Welt könnte auch eine andere sein. Und nur weil man jetzt feststellt – zum Beispiel unsere Forschung zu Gender und Politik, die wir jetzt hatten – nur weil man feststellt, dass Frauen sich vielleicht für diese und diese Themen interessieren, da muss man aufpassen, wie man das verpackt und nicht sagt: Ja, Frauen sind eben so.
Marivi: Klar.
Tine: Sonder man sagt: Okay, wir haben das geforscht, aber das hei0t ja nicht, dass da keine Ideologie oder keine Rollenbilder hinter stehen.
Marivi: Total.
Tine: Ich möchte jetzt mal auf folgendes Thema zu sprechen kommen: Wir haben jetzt hier die ganze Zeit über Politik und Psychologie geredet, und eher so dahinter geschaut, welche psychologischen Voraussetzungen dazu führen, ob man politisch ist. Aber um das jetzt mal umzudrehen: Was macht denn Politisch-Sein mit unserer Psyche? Was macht das mit unserem Wohlbefinden? Das ist ja auch ein bisschen der Grund, warum wir diesen Podcast machen. Wir wollen herausfinden, welche gesellschaftlichen Voraussetzungen muss es geben, damit Menschen sich wohler fühlen. Und deswegen habe ich mich da mal mit beschäftigt.Also erstmal, jetzt rein politisches Interesse, da habe ich natürlich wieder etwas zu Jugendlichen gefunden. Wie gesagt, es gibt da irgendwie sehr viel Forschung über Jugendliche. Und da hat man herausgefunden, dass das politische Interesse bei Jugendlichen Gefühle von Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz vorhersagt. Vorhersagen, das ist so ein Begriff aus der Statistik, das bedeutet, wenn man das alles misst, lässt sich eine statistisch erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür finde, dass die Jugendlichen, die angegeben haben, sie haben politisches Interesse, sich auch autonomer, kompetenter und zugehöriger fühlen. Allerdings gibt es keinen umgekehrten Zusammenhang, was jetzt erstmal keine festen Schlüsse zulässt, aber eine leichte Vermutung, dass sozusagen dieses Interesse zu den Gefühlen von Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz führen könnte.
Marivi: Das ist ja auch irgendwie wichtig, ne? Also, diese Gefühle sind ja auch irgendwie bestimmte Grundbedürfnisse, die wir haben.
Tine: Ja, total. Das ist etwas, was einem irgendwie eine Perspektive gibt. Das war so zum Interesse, und jetzt geht es zum nächsten Schritt, Richtung Aktivismus, Richtung Teilhabe. Da gibt es auch Forschung zu, und da wurde ganz lange dazu geforscht, welche negativen Effekte zu Aktivismus führen. Da wurde davon ausgegangen, Leute werden aktiv aus Ärger und Frustration mit dem aktuellen Zustand. Natürlich ist das auch zum Teil so, aber eben nicht nur. Und andererseits kann Aktivismus auch negative Effekte haben, insofern dass er – das war in der Studie so schön ausgedrückt - Mikro- und Makrosorgen verbindet. Also wenn ich mich jetzt in meinem Privatleben total darein hänge, dass vor 2038 Kohlekraftwerke geschlossen werden und dann passiert das nicht, dann kann das natürlich dazu führen, dass ich Privat mich auch total traurig und eingeschränkt fühle, und mir da Sorgen machen, weil ich mich da reingehängt habe und plötzlich das politische Geschehen für mich persönlich geworden ist.
Marivi: Okay, wäre das dann auch so, dass ich Sachen aus meinem Privatleben viel schneller in den großen Zusammenhang stelle? Und irgendwie dadurch dann die kleinen, individuellen Sorgen mit den großen Sorgen verbinde?
Tine: Ja, genau. Das sind dann die negativen Dinge, die aus politischem Aktivismus entwachsen können, was die eigene Psyche angeht, ABER es gibt auch positive Aspekte. Und zwar hat sich da gefunden, dass Aktivismus im positiven Zusammenhang mit Wohlbefinden bzw. bestimmten Arten des Wohlbefindens steht. Und zwar einmal mit dem hedonistischen Wohlbefinden – das ist so die Lebenszufriedenheit, die Gefühlswelt – aber auch mit ethischem und sozialen Wohlbefinden. Also, dass man sich gut fühlt, weil man das Gefühl hat sich richtig zu verhalten, man macht etwas Gutes. Und das kann Menschen total viel geben. Und es gibt eine Meta-Analyse – Meta-Analysen fassen ganz viele andere Forschungsergebnisse zusammen und schauen, was ist da so der Überblick – die sagt, es gibt jetzt keinen wirklichen Zusammenhang, ob jetzt kollektive eher positive oder negative Gefühle unterm Strich hervorruft, weil es beides tut.
Marivi: Also es gleicht sich aus?
Tine: Genau, es gleicht sich so ein bisschen aus. Was aber tatsächlich der Fall ist, ist dass es eine Lebendigkeit hervor ruft. Ich glaube, das war jetzt eine andere Studie, aber das ist relativ sicher: Aktivist*innen fühlen sich als würden sie aufblühen. Das gibt ihnen Kraft. Da gibt es tatsächlich auch so ein Experiment mit, wo Menschen (ich glaube, es waren Studierende in der Mensa) Mensaessen bewerten sollten. Manche sollten es nach Geschmack, manche sollten es nach ethischen Standards und wie das angebaut wird bewerten. Das Wohlbefinden war bei beiden Gruppen danach gleich, aber die, die es nach ethischen Standards bewerten sollten, haben sich lebendiger gefühlt. Die wurden halt direkt in so einen Aktionismus versetzt. Das finde ich ganz spannend, dass sich das nicht nur zeigt, wenn man sich anguckt, was machen Aktivist*innen sowieso schon, was machen die sowieso schon, sondern auch wenn man das manipuliert.
Marivi: Ja, voll. Das kann ich auch aus dem Persönlichen voll unterschreiben.
Tine: Also so geht es mir auch mit meinem eigenen Poltisch-Sein. Klar fühlt man sich vielleicht verbundener und dadurch auch niedergeschlagen von politischen Rückschläge, aber es gibt mir so einen Sinn, dazu zu gehören und wenn ich selber auch mich mal frage „hey, was soll das hier alles?“, dann weiß ich wieder, wofür ich kämpfe. Es füllt irgendwie so ganz viele Fragen, ganz viel Raum, den man so haben könnte. Und das finde ich einfach sehr wichtig für mich.
Marivi: Das ist sehr schön gesagt. Ich finde das ist ein sehr schönes Schlusswort. Wir haben die Zeit auf jeden Fall gut rum bekommen. Danke für’s Zuhören! Mir hat es voll Spaß gemacht, es war voll schön, das jetzt mal mit dir besprochen zu haben, Tine.
Tine: Total, ja. Richtig, richtig cooles Thema und ich habe auch viel von dir gelernt.
Marivi: Das kann ich zurückgeben.
Marivi: Beide lachen.
Marivi: Ja, und wenn es euch auch gefallen hat, dann würden wir uns total freuen über einen Kommentar, einen Daumen hoch oder Sternchen auf iTunes (wenn ihr das auf iTunes hört), oder wenn ihr uns auf Instagram abonniert. Teilt es sehr sehr gerne mit Freund*innen, Bekannten, Familie – wem auch immer, Menschen, die es interessieren könnte. Und wir haben auch einen Steady-Account. Wir machen das alles ehrenamtlich, das ist ein Herzensprojekt, das macht uns super Spaß, und durch euch kann ein Geist:Reich möglich gemacht werden. Wir würden gerade am Anfang eure Spenden dafür nutzen, den Künstlerinnen Fidelia und Finna, mit denen wir zusammen gearbeitet haben, die unser Jingle und unser Logo produziert bzw. gezeichnet und illustriert haben, gerne unseren Dank dadurch aussprechen. Stellt euch das vielleicht vor wie einen Hut, der am Ende von einem Vortrag rumgeht. Da würden wir uns super super drüber freuen!
Tine: Ansonsten vielen Dank an unsere lieben Hörer*innen. Wir sind sehr gespannt, wie eure Meinung zu unserer Folge sind. Und ja, wir freuen uns sehr auf die nächste Folge!
Marivi: Genau, und wie wir schon vorher gesagt haben, wir verlinken alles unten in den Shownotes an Studien, Seiten, Graphiken… Ja, dann würde ich sagen…
Tine: Bis zum nächsten Mal!
Marivi: Ja, bis zum nächsten Mal!
Tine: Ciao!
Marivi: Ciao!
Marivi: Outro-Musik